Von Kindern lernen:„Soll ich dir zeigen, wie das geht, Mama?“

Feb. 28, 2025 | Kolumne

Warum wir viel öfter von unseren Kindern lernen sollten (zum Beispiel, wie man anderen etwas beibringt)

Kinder lernen im Grunde den ganzen Tag, bewusst und unbewusst. Manchmal geht uns Eltern das nicht schnell genug. Ganz schön unfair, findet unsere Autorin Silke Schröckert. Denn wenn wir umgekehrt einmal etwas von ihnen lernen sollen, beweisen die Kleinen oft sehr viel mehr Geduld mit uns als wir mit ihnen. Ein kleines Plädoyer dafür, sich hin und wieder etwas vom Nachwuchs abzuschauen – zum Beispiel die Freude daran, anderen neue Dinge beizubringen.

Seit der Erfindung des Klettverschlusses wissen immer weniger Kinder, wie man eine Schleife bindet. „Eine europaweite Studie sagt aus, dass jeder vierte Fünfjährige mit dem Smartphone umgehen, aber nicht einmal jedes zehnte Kind seine Schnürsenkel binden kann“, heißt es in dem Artikel „Rettet das Schuhbandl“ auf sueddeutsche.de – und der ist bereits über zehn Jahre alt. Es ist also anzunehmen, dass sich diese Zahlen noch weiter verschärft haben.

Und auch ich muss zugeben: Mir fehlt zwischen Hort-Abholzeit und Schulbeginn, zwischen Spielverabredungen und Sportkursen, zwischen Projekt-Deadlines und „einfach mal Durchatmen“ regelmäßig die Geduld, mit meinen Kindern das Schleifebinden zu üben. Ich bin also Teil des Problems. Oder eher: Ich mache meine Kinder dazu. Und gebe ihnen kaum eine Chance, daran etwas zu ändern.

Denn wenn mir wieder einmal einfällt, dass ich doch eigentlich Schleifebinden mit ihnen üben will, ist es in der Regel zu spät. Besser gesagt: Wir sind zu spät. Auf dem Weg zum Sport, zum Arzt, zur Schule – ganz egal, wir sind spät dran. Und auf die Frage: „Kannst du mir noch einmal zeigen, wie ich die fester bekomme?“, antworte ich in der Regel mit einem ruppigen „Komm her, ich mach es schnell selbst.“ (Meistens nicht ohne ein vorwurfsvolles „Ihr müsst das jetzt echt mal lernen“ hinterher zuschieben.)

Klingt gemein? Ist es auch. Und dennoch ist es – so viel Verständnis erlaube ich mir selbst – erklärbar. Solltest du dich beim Lesen dieser Zeilen gerade ein kleines bisschen ertappt gefühlt haben, weil es bei euch ähnlich zugeht, lass dir deshalb gesagt sein: Es ist vollkommen normal, dass im stressigen Elternalltag, in diesem Wahnsinn namens Work-Life-Family-Balance, irgendetwas hinten überfällt. Meine ganz persönliche Meinung ist: So lange es etwas so leicht Nachholbares wie das Beibringen des richtigen Schuhschnürens ist, haben wir alle immer noch einen verdammt guten Eltern-Job gemacht!

Es ist auch nicht so, als könnten sie es gar nicht. Ihnen fehlt nur die Übung für eine wirklich gute Schleife. Eine, die den ganzen Tag hält und sich nicht in der ersten großen Pause bereits in zwei schlabbernde Schnürsenkel auflöst. Ich nehme mir also – wieder einmal – das Thema „Schleife üben“ fürs kommende Wochenende vor. Irgendwann am Samstag haben wir sicher 15 Minuten Zeit. Oder eben am Sonntag. So schwer ist das ja wirklich nicht mit den Bändern und den Hasenöhrchen. Ich weiß gar nicht, wo das Problem ist. Und realisiere selbst gerade, dass ich noch vor drei Absätzen geschrieben habe, dass ich der Kern des Problems bin.

Aber egal, jetzt gilt es erst einmal, die Tochter pünktlich ins Bett zu kriegen. Der habe ich vorm Schlafengehen noch eine Folge „Jan & Henry“ versprochen, ihre aktuelle Lieblingsserie. Wo läuft das nochmal? Auf Netflix? Ach ne, auf ARD Plus! Aber wie komme ich da hin? Und welche Fernbedienung brauche ich dafür? Die große Graue? Die kleine Schwarze? Und wofür war nochmal die dritte?

Ich resigniere sofort genervt. Und glaube nicht, dass ich durch diese ganzen Streaming-Dienste jemals durchsteigen werde. Zum Glück kennt unser Sohn sich damit längst besser aus als ich. „Tom!“, brülle ich also Richtung Kinderzimmer, so wie ich es immer mache, wenn ich mit unserer Wohnzimmer-Technik nicht weiterkomme, „machst du deiner kleinen Schwester bitte eine Folge ‚Jan & Henry‘ an?“

Artig kommt der große Bruder aus seinem Zimmer. „Mama“, sagt er ruhig, während er die kleine schwarze Fernbedienung in die Hand nimmt, „soll ich dir nicht mal erklären, wie das geht? Dann kannst du es ab morgen selbst machen. Es ist wirklich ganz einfach.“

Ich bin nur kurz erschrocken. Vor diesem Rollentausch. Und vor mir selbst. Und dann bin ich einfach nur still. Geduldig höre ich zu, während mein Sohn mir zeigt, mit welchen Tasten ich mich durchs Menü bewege. Ich probiere, mir alle Schritte zu merken. Es ist wirklich ganz einfach. Ob ich es morgen allein hinbekomme oder doch noch einmal seinen Support benötigen werde, weiß ich trotzdem noch nicht.

Eins weiß ich aber ganz sicher: In den nächsten 12 Minuten, während seine kleine Schwester „Jan & Henry“ guckt, zeige ich ihm, wie man eine Schleife richtig fest bindet. Jetzt sofort. Und sollte er morgen trotzdem noch einmal meine Hilfe dabei benötigen, dann bekommt er sie.


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